Braucht man Erotikszenen?

Manche Autor_innen schreiben sie mit Hingabe, anderen sind sie ein Graus. Aber braucht man in historischen (Liebes-) Romanen explizite Szenen und wie schreibt man sie? Diese Frage haben wir uns in unserer Autoren_innengruppe am Wochenende gestellt. Was dabei herumgekommen ist, möchte ich euch in diesem Beitrag zu meinem „Autorenkaffeekränzchen“ erzählen.

Genreregeln

Wenn man viele Schreibratgeber liest, wird einem sehr schnell deutlich gemacht, dass es zur Vorbereitung auf den eigentlichen Schreibprozess gehört, dass man die Regeln des eigenen Genres kennen lernt und verinnerlicht. Ein Beispiel, das mir dabei besonders in Erinnerung geblieben ist, waren eben die angeblichen Regeln meines Genres, des historischen (Liebes-)Romans. Dabei ging es um das Alter der Protagonisten, wobei der Mann immer älter sein sollte, als die Frau. Körperliche Gebrechen dürften vorkommen, aber nicht gravierend und die Attraktivität einschränkend sein. Erotikszenen und Happyend seien explizit erwünscht.

Puh, ich fand, dass einen das schon ordentlich einschränkt und die Story immer in ein und dieselbe Ecke drängt. Dabei vertrete ich zusammen mit zahlreichen Kolleg_innen die Ansicht, dass diese Regeln aufgestellt wurden, um gebrochen zu werden. Zumindest in einem gewissen Maße. Schließlich ist Literatur Kunst und Kunst hält sich selten an Regeln.

Aber wieso nur in gewissem Maße?

Leser_innen kaufen Bücher eines Genres, weil sie eine gewisse Erwartung haben, die erfüllt werden will. Sie suchen sich Bücher nach gewissen Kriterien aus. Wenn ich nun also einen historischen (Liebes-)Roman schreibe, in der alle Regeln auf den Kopf gestellt werden, dann legt der Leser/die Leserin das Buch enttäuscht beiseite und kauft bestimmt keinen zweiten Roman von mir. Also: gewisse Regelbrüche machen einen Roman besonders, machen ihn interessant und heben ihn hervor (beispielsweise Diana Gabaldons „Outlander“- der Held ist jünger als die Heldin). Aber krasse Regelbrüche vergraulen die Leserschaft oder irritieren sie im besten Fall.

Und die Erotikszenen?

Oftmals wird behauptet, dass unsere Literatur viel mehr erotische Szenen aufweist, als früher. Aber wer sich in Goethe, Schiller etc. einliest, stellt fest, auch da gab es anrüchige Szenen, die für die Leserschaft wahrscheinlich dieselbe Wirkung hatten, wie auf uns heute Szenen in Romanen wie E. L. James (zur Erinnerung: das ist die Dame mit den Büchern der „Fifty Shades“- Reihe). Aber braucht man solche Szenen in historischen (Liebes-)Romanen?

Ich vertrete die Ansicht, dass es auf den Fokus des Romans ankommt. Der klassische historische Roman kommt locker ohne Bettszenen aus. Es geht um die Geschichte, die lebendig werden soll. In typischen Historicals etc. hingegen erwarten die Leser ordentliche Erotik- und Liebesszenen- manche kaufen diese Romane extra deshalb. Bei einer Mischform wie meinen Romanen habe ich hingegen freie Hand und lege den Schwerpunkt selbst. Die Romane meiner „Sturm-Reihe“ sind deutlich erotiklastiger, als meine Wälzer der „Blumen-Reihe“, in denen der Schwerpunkt auf dem historischen Geschehen und weniger auf dem Paar liegt.

Wie gestaltet man solche Szenen?

Schlimm finde ich immer die Einstellung mancher Leser_innen, die der Ansicht sind, dass die Autorin/der Autor einer solchen Szene an solchen Dingen Gefallen finden und aus eigenen Erfahrungen schreiben müsse. Nein, diese Szenen sind ebenso professioneller Teil einer Recherche und werden ebenso nüchtern (vielleicht sogar noch nüchterner) geplant, wie alle anderen Szenen auch.

Dabei lese ich mich vorher bei anderen Autor_innen ein, wie sie ein Thema eingegangen sind. Ein Beispiel ist die Erotikszene in meinem Roman „Wie der Sturm im Frühling“, in dem die Protagonistin dem Offizier, in den sie sich verliebt hat, einen Blowjob gibt. Nachdem ich in meinem Debütroman bereits eine Vergewaltigungsszene und eine romantische Bettszene hatte, wollte ich in diesem Roman etwas anderes und ein wenig mein Handlungsspektrum vergrößern, indem ich beweise, dass ich mich auch an etwas genreunkonventionellere Szenen heranwage. Also habe ich mir angeschaut, wie Autorenkolleginnen das Ganze gelöst haben. Welches Vokabular haben sie gewählt, gefällt mir das oder überkommt mich bei gewissen Formulierungen die Fremdscham?

Ich bin beispielsweise kein Fan von allzu plastischen Beschreibungen des Aktes. Manche anderen Autoren packen da einen ganzen Obst- und Gemüsekorb aus. Besonders schön fand ich in unserem gemeinsamen Austausch die Formulierungen wie „Ich knabberte an seinem besten Stück wie ein Eichhörnchen an der Nuss“ oder „den Aal im Kanal versenken“. Mir fallen aber auch immer die Beschreibungen aus dem Film „10 Dinge, die ich an dir hasse“ wie „riesige Bratwurst“ (HIER ist die absolut geniale Szene) ein.

Eine sehr begabte und inzwischen verstorbene Autorin beschrieb die Brüste ihrer Protagonistin immer als „erntereife Pfirsiche“. Von solchen Formulierungen halte ich mich eher fern und fokussiere mich auf die Empfindungen der handelnden Figuren anstatt auf Optik oder Aktionen. Wichtig ist, dass man sich für eine Art entscheidet, die zum eigenen Schreibstil passt.

Durchziehen oder nur andeuten?

Soll man Erotikszenen bis zum Finale beschreiben oder nur andeuten und dann an der besten Stelle abbrechen, um dem Leser und seiner Fantasie alles Weitere zu überlassen? Ich denke, dass dies wiederum eine Sache des eigenen Stils ist. Ich selbst teasere Erotikszenen nur über wenige Zeilen an, eine andere Kollegin hat letztens erklärt, dass ihre Erotikszene über drei Kapitel gehen wird (ich bin immer noch beeindruckt).

Schön finde ich auch, wenn die Chemie zwischen zwei Figuren so perfekt geplant ist, dass sie ohne jedwede explizite Szene auskommen. Wenn Blicke, Worte und flüchtige Berührungen ausreichen, um die Anziehung zwischen beiden zu vermitteln. Dadurch entsteht immer eine Spannung, die sich auf den Leser überträgt und diesen von Kapitel zu Kapitel fliegen lässt, weil man wissen will, wie sich diese Spannung steigern lässt.

Wie viele solcher Szenen sollte ich einbauen?

So viele, wie der Plot benötigt. Wie jede andere Szene sollte auch eine Erotikszene eine Begründung haben, also die logische Schlussfolgerung der vorangegangenen Handlung sein (Himmel, klingt das unromantisch). Aber jede Szene, die die Handlung nicht weiterträgt, ist unsinnig und reinste Papierverschwendung.

Ich beispielsweise finde, dass die sehr zahlreichen Erotikszenen in „Outlander“ von Diana Gabaldon übertrieben sind (das vergehen ja ganze Kapitel, wo nur sinnlos…). Solche Szenen überfliege ich dann meistens, weil sie mich nicht mehr ansprechen. Wenn ein Figurenpaar jedoch seit Beginn der Handlung auf diese Szene hingearbeitet hat oder diese Szene gar den ganzen Konflikt des Romans auslöst, ist sie unerlässlich.

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Ich freue mich immer über Rückmeldungen zu meinen Beiträgen. Kontaktiere mich gerne via E-Mail über letters@jocelyn-garber.de

Liebe Grüße

Kaffeekränzchen

Themen:

Allgemein, Autoren-Kaffeekränzchen, Historischer Roman

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