Lieblingsfiguren sterben lassen

Jeder kennt das: Man liest einen Roman, leidet und lacht nicht nur mit dem Protagonisten, sondern auch mit manchen Nebenfiguren und dann sterben die einfach! Wie hier am Beispiel einer meiner Nebenfiguren aus „Das Flüstern des Löwenzahns“. Und obwohl man anfangs vollkommen schockiert ist und um die Figur trauert, merkt man, dass dieser Figurentod die Handlung erst abgerundet und die Figur besonders gemacht hat. Aber wie kann man Lieblingsfiguren sterben lassen? Wie bereitet man einen Figurentod ordentlich vor? Darum soll es dieses Mal im „Autoren-Kaffeekränzchen“ gehen.

Als Nächstes führte man Pécheur zu der Linde und band auch ihn am Stamm des Baumes fest, wobei man die Fesseln deutlich enger anlegte. Offensichtlich fürchtete man, dass auch er ein ähnlich würdeloses Spektakel abgeben würde wie sein Kamerad zuvor. Doch Pécheurs Miene drückte einen solchen Hass aus, dass er den Teufel getan hätte, auch nur eine Sekunde Schwäche zu zeigen.

Auf den Befehl ihres Kommandanten hob das Erschießungspeloton seine Musketen und legte an. Nichts außer dem metallischen Staccato war zuhören, als die Soldaten den Hahn ihrer Waffe zurückzogen. Allein dieses Geräusch jagte mir eine grausige Gänsehaut über den Rücken. Pécheur begegnete diesem Schauspiel jedoch mit seiner üblichen zur Schau getragenen Gleichgültigkeit.

Sein Blick war fest auf einen Punkt am anderen Ende des Platzes gerichtet und als ich den Blick hob, entdeckte ich den jungen Soldaten Auguste, den ich oft an seiner Seite gesehen hatte. So lehnte Pécheur auch die Augenbinde rigoros ab, denn er wollte den Blick von seinem Freund nicht losreißen. Kurz bevor ihn die tödliche Salve traf, nickte er fast trotzig in Richtung des jungen Mannes. Dann trat er vor seinen Schöpfer.

Jocelyn Garber: „Das Flüstern des Löwenzahns“, 2022 (gekürzte Fassung)
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Auf was muss ich besonders achten?

Wie bei allen Plotentscheidungen sollte man sich vorher überlegen, ob auch der Figurentod die Handlung wirklich vorantreibt. Steigert sie den inneren Konflikt des Protagonisten? Gibt ihm der Tod einer Figur vielleicht die letzte Motivation, sich dem Antagonisten oder der antagonistischen Kraft final zu stellen?

Man sollte niemals eine Figur aus einem jähen Impuls dahinraffen, denn dann verliert dieser Moment und damit auch die Figur an Bedeutung und die Handlung wird willkürlich. Außer, man macht dies als Stilmittel, um zu schockieren, wie es beispielsweise George R.R. Martin bei der Game of Thrones-Reihe getan hat. Da wusste man auch nicht, wieso eine beliebte Figur plötzlich sterben muss, aber gerade diese Willkür sorgte für Spannung. Quasi weil es jederzeit jeden erwischen konnte.

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Wichtig ist auch, dass der Tod ordentlich vorbereitet wird. Das heißt nicht, dass man schon Seiten vorher wissen sollte, dass es diese und jene Figur gleich erwischt. Vielmehr sollte man die Ursachen des Ablebens schon früh andeuten, einarbeiten.

Ohne zu viel spoilern zu wollen, ist in meinen Romanen immer vorhersehbar, dass der Antagonist am Ende gegen den Protagonisten verliert bzw. von ihm bekehrt wird.

Wenn ich mich für seinen Tod entscheide, dann immer, weil die Figur sich in eine Richtung entwickelt hat, in der ihr Tod eine logische Konsequenz ist. Weil sie Entscheidungen getroffen hat, durch die ein Triumpf oder auch nur die reine Weiterexistenz unmöglich wird. Weil ich damit dem Protagonisten noch einmal in den Allerwertesten treten will. Das hat dabei nichts mit Moral oder Gerechtigkeit zu tun. Antagonisten überleben, genauso wie nette Nebenfiguren draufgehen.

Die Besonderheit in historischen Romanen

Zur Recherche gehört dann jedoch auch, auf welche Weise eine Figur ums Leben kommen sollte. Starb sie eines natürlichen Todes, wurde sie ermordet oder hatte sie einen Unfall oder wurde sie gerade hingerichtet.

Krankheiten und natürliche Todesursachen

Hierbei ist zuerst ein Blick auf die Lebenserwartung der Menschen dieser Zeit wichtig. Wie hoch war diese je nach gesellschaftlichem Stand? Welche Krankheiten führten oft zum Tode? Wie entstanden diese? Wie wurden diese behandelt und wie war die Überlebenswahrscheinlichkeit dieser Behandlung?

Wer beispielsweise zur Zeit Heinrichs VIII in England lebte, hatte eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit vom Englischen Schweißfieber dahingerafft zu werden. Einige Jahrhunderte später trat diese Krankheit nur noch partiell auf. In der Epoche Napoleons hingegen war das Fleckfieber und der Typhus der Schrecken der damals lebenden Menschen. Auch ein Blick auf Epidemien in bestimmten Regionen ist oft ganz hilfreich. Wichtig ist dabei aber auch, dass Krankheiten damals oft anders bezeichnet wurden. So sprach im 17. Jahrhundert noch niemand von Epilepsie, sondern von Fallsucht.

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Gifte und Drogen

Auch Gifte, ihre Dosierung und Wirkung sowie ihre Behandlung ist von der Epoche, in der der Roman spielt, abhängig. Während versehentliche Bleivergiftungen durch Wasserröhre in der römischen Antike häufig vorkamen, werden diese in den späteren Jahrhunderten weniger. Aber auch „Modetrends“ in der Verwendung von Giften und auch Drogen sind zu beachten.

Wann wurde beispielsweise Arsen zum Lieblingsgift? Ab Ende des 18. Jahrhunderts kann man auch über die toxische Wirkung von beliebten Medikamenten nachdenken, wie beispielsweise Laudanum, welches wie Hustensaft getrunken wurde, oder noch etwas später das beliebte Medikament „Heroin“.

Bei pflanzlichen Giften sollte man sich überlegen, wie die Menschen dieses Gift damals herstellten. Gibt es diese Pflanzen in der Region? Sind sie schwierig zu beschaffen? Die Wirksamkeit von Pflanzengiften ist dabei zu beachten. Wie viel muss davon konsumiert werden, um beispielsweise Atemversagen oder Herzstillstände zu provozieren?

Waffen, Schlachten und Scharmützel

Hierbei ist natürlich in erster Linie wichtig, welche Waffen in welcher Region von welcher Gruppe an Personen verwendet wurden. Ein schottischer Sgian dubh (Kurzdolch, der im Strumpf getragen wurde) wird sich höchst wahrscheinlich in keinem Roman über die römische Antike finden.

Zudem ist das Material der Waffe und seine Handhabung zu beachten. Welche Metalle und Hölzer wurden verwendet? Wie nutzen sich diese ab? Wozu führt das bei regelmäßigem oder langanhaltenden Gebrauch.

Ein typisches Beispiel ist in meinen Romanen beispielsweise der Einsatz von Musketen. Wie oft liest man in Romanen oder sieht in Filmen, wie mit einer Muskete eine Person zielsicher getroffen und getötet wird. Wenn man sich mit Musketen jedoch auseinandersetzt und die Treffsicherheit in Abhängigkeit von der Schussentfernung betrachtet, weiß man, dass ein gezielter Treffer fast unmöglich war. Tödlich waren die Verwundungen und die dadurch entstandenen Blutungen und Infektionen.

Carl Röchling: Das Treffen an der Göhrde

Wichtig ist auch, sich bei der Verwendung von Waffen mit ihrer Handhabung auseinanderzusetzen. Taugen sie überhaupt zu dem Zweck, den ich mir ausgesucht habe? Beispielsweise bin ich immer davon ausgegangen, dass ein Säbel möglichst schön scharf sein sollte, um tiefe Wunden zu verursachen. In der Recherche habe ich gelernt, dass etwas abgenutzte Klingen viel wirkungsvoller sind, weil sie keine glatten Wunden verursachen, sondern schön das Gewebe zerstören und die Heilung länger dauert.

Auch Bras Fort entdeckte ich inmitten des Getümmels. Er trug noch immer seinen Tschako mit dem schwarzen Regenüberzug und kämpfte in vorderster Reihe zwischen seinen Leuten mit der blanken Klinge seines Säbels, um einen der Munitionswagen zu schützen, der mit seinen Rädern auf dem weichen Untergrund nur schleppend vorankam. Mit einer Handbewegung befahl er seinen Leuten, den Knechten beim Anschieben des Karrens zu helfen und die wichtige Fracht zu schützen.

In diesem Augenblick jedoch schlug ein Geschoss in unmittelbarer Nähe zu ihm ein. Ein Hagel aus Geschosssplittern und Erdbrocken riss den tapferen Mann zu Boden. Der Munitionswagen wurde durch die Wucht der Detonation umgeworfen, die Pferde zu Boden gerissen. Das war das Ende des tapferen Sergents.

Jocelyn Garber: Das Flüstern des Löwenzahns (2022)

Wie man am Zitat, in dem ich den Tod einer Nebenfigur kurz umreiße, behandle ich häufig Schlachten und Gefechte in meinen Romanen. Dabei habe ich für mich die Erfahrung gemacht, dass ich den Tod auch von Nebenfiguren nur kurz anreiße, da alles andere in dieser Situation für mich zu heftig wäre und gleichzeitig der Schlachtszene ihre Spannung nimmt. Hierbei ist jedoch, dass man sich hier vergegenwärtigt, in welcher Phase des Kampfes wer durch welche Handlung stirbt. Wenn ich mir überlegt habe, dass mein Soldat durch einen Kavallerieangriff stirbt, aber kein einziges Pferd auf dem Schlachtfeld stand, ist das Ganze hinfällig.

Hinrichtungen

JacquesLouis David: Der Tod des Sokrates (1787)

Wird eine Hinrichtung inszeniert, sollte man sich klar darüber sein, ob das Verbrechen damals überhaupt mit dem Tode geahndet wurde. Wie wurde hingerichtet zu dieser Zeit in dieser Region? Es macht beispielsweise einen großen Unterschied, ob ein Delinquent beim Tod durch den Strang einen langen oder kurzen Fall hat. Welche Schwachpunkte hatte die Methode? Was passiert in oben gewähltem Beispiel, wenn ich das Seil zu kurz oder lang wähle? Was sollte sie überhaupt beim Delinquenten bewirken (Qualen, rasches Dahinscheiden…). Wie sind die Abläufe einer Hinrichtung dieser Methode.

Am Beispiel der französischen Armee in den Napoleonischen Kriegen gibt es eine ganz genaue Vorgabe, wie viele Leute in welcher Zusammensetzung das Erschießungspeloton bilden. Welche Trommelsignale wann zu geben sind. Wer das Ganze kommandiert.

Der Umgang mit dem Tod in der Gesellschaft

Namen

Wichtig ist auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod. Wie wurde bei dem Tod einer Person in der jeweiligen Epoche gehandelt (Aufbahrung, Totenwache, Begräbnis…). In meinem Roman „Wie der Sturm im Frühling“ behandle ich den Selbstmord einer Figur, die daraufhin ein stilles Begräbnis außerhalb der Friedhofsmauern erhält und der die Angestellten aus Angst vor einer Wiederkehr Eisennägel in die Fußsohlen gejagt haben. In meinem Debütroman „Als das Schneeglöckchen fliegen lernte“ behandle ich Begräbnisrituale bei uns im Rheinland, beispielsweise den Verzehr von Streuselkuchen beim Leichenschmaus sowie des Fehlen von Blumenschmuck Ende des 17. Jahrhunderts auf einem Grab.

Es ist also wichtig, wie sich das Ableben auf die danach folgenden Abläufe auswirken. Wie verhalten sich die Angehörigen (Traditionen, wie Spiegel abzuhängen oder abzudecken, das Verbot Selbstmörder durch die Tür oder die Fenster nach draußen zu bringen, da man eine Wiederkehr fürchtete). Wie wird in dieser Region traditionell bestattet?

Man sieht also: Neben der Recherche über die Todesart kommen auch hier viele Faktoren hinzu, die zusätzlicher Information bedürfen.

Sollte ich meine Hauptfigur töten?

Klar. Wenn es der Prämisse der Figur folgt und sinnvoll für die Handlung ist, immerzu.

Don’t kill the dog- oder das Kind

Bringe nicht das Haustier um- eine der vielen Regeln, die man immer wieder in Ratgebern liest, denn offenbar befürchten viele, dass man sich die Sympathie des Lesers verspielt, wenn man dem Haustier an dem Kragen geht. Wahrscheinlich auch aus den oben genannten Gründen: Der Tod eines Haustiers, außer dieses ist Hauptfigur und man erhält Einblick in seine Gefühle und Motivation, kann nur schwer für den Leser akzeptabel begründet werden.

Behutsam drückte ich das Bündel an mich und konnte nur mühsam einen Blick auf das tote Kind zu werfen. Niemals zuvor hatte ich einen Säugling gesehen, der noch so klein war. Kaum elf Zentimeter groß. Die Haut durchscheinend wie aus Wachs, der Schädel unnatürlich groß, die Augen geschlossen.

„Wie hübsch sie ist.” Nicholas hauchte mir einen Kuss auf die Stirn und malte das Kreuzzeichen auf die Stirn des Kindes.

Jocelyn Garber: „Wie der Sturm der Ewigkeit“ (2022)

Und Kinder? Ich persönlich habe ein großes Problem damit, Gewalt an Kindern darzustellen. Andere Autor_innen haben andere Hemmschwellen und zeigen ungern häusliche oder sexuelle Gewalt. In meinen Romanen thematisiere ich jedoch niemals den Tod eines Kindes- bereits eine dargestellte Fehlgeburt wie in „Wie der Sturm der Ewigkeit“ war für mich eine Gratwanderung. In einer meiner Recherchequellen zum Spanienfeldzug Napoleons beispielsweise wurde die Tötung eines Säuglings durch französische Soldaten beschrieben, die das Kind auf ihr Bajonett spießten und damit herumliefen. Eine solche Szene würde es in keinem meiner Romane jemals geben. Aber wenn man sich an die oben erklärten Regeln hält, steht dem nichts im Wege.

Wie erledige ich meine Figur richtig?

Kennt ihr die Szene aus „Der Wixxer“? Der Handlanger des Bösewichts wird erschossen, taumelt, hält sich noch einmal am Geländer fest, hält noch einen kleinen Monolog, fällt, steht wieder auf, sagt noch etwas und erst, als er ausrutscht, ist es endlich vorbei. Oder eine Figur wird in einem dramatischen Schwertkampf durchbohrt, die tödliche Waffe steckt dekorativ mitten in der Brust, die Heldin bettet den Kopf des Sterbenden in ihrem Schoß und beide unterhalten sich noch Ewigkeiten, klären ihre Beziehung, bis der Kopf des Sterbenden sanft zur Seite fällt (ein sehr unterhaltsames Beispiel einer gar nicht so schlechten Serie findest du HIER)

Quelle: pexels

Es wird also klar, dass auch ein Figurentod bei aller schriftstellerischen Freiheit realistisch ablaufen sollte. Jemand, der gerade verblutet, hält wahrscheinlich keine philosophisch wertvollen Monologe mehr. Es muss also recherchiert werden, wie der Tod eintritt, welche Symptome auftreten, wie Blutverlust, Schock etc. sich auf das Bewusstsein auswirken.

Tod zelebrieren oder abkürzen?

Ich finde, dass das vom individuellen Schreibstil, als auch von der Persönlichkeit des Autors/der Autorin und dem Manuskript in seiner gesamten Konzeption abhängt. Während mir andere Szenen schwer fallen, habe ich kein Problem damit, eine Todesszene zu schreiben und auch auf die einzelnen Details zu beschreiben. Andere kürzen das Ganze lieber ab und deuten den Tod nur an. Man kann auch beide Möglichkeiten benutzen, da nicht jede Figur gleich wichtig ist oder man auch einfach einmal für einen kurzen Schockmoment sorgen will. Man sollte die Details jedoch auch auf seine Leserschaft anpassen. Eine Szene wie oben ist für einen seichten Liebesroman vielleicht schon zu viel. Fans etwas derberer Genres hingegen wäre es deutlich zu handzahm.

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Fazit

Figurentode sind immer Schlüsselstellen in Romanen und müssen dementsprechend durch eine gute Recherche und einen ausgefeilten Plot vorbereitet und ausgearbeitet werden. Sie sollten stets begründet sein und nicht als Mittel zur Aufmerksamkeitsgenerierung eingesetzt werden. Das kann einmal gut gelingen, danach wirkt dieses Mittel verbraucht.

Man bemerkt jedoch rasch, dass gerade diese Schlüsselstellen ein hohes Maß an Recherche, aber auch an Feingefühl verlangen, um angemessen mit dieser Thematik umzugehen, beispielsweise, wenn man Augenzeugen der jüngeren Geschichte befragt.

Das führt dann zu Google-Suchverläufen, die mich eines Tages wahrscheinlich noch in Teufels Küche bringen werden, falls mein Notebook jemals von der Polizei einkassiert wird und im Verlauf Fragen auftauchen, wie: „Wie wirkt Mäusebutter“, „Tödliche Dosis Rattengift“ oder „Inhaltsstoffe Schirlingstrank“.

Liebe Grüße

Autoren-Kaffeekränzchen

Quellen:

alle verwendeten Gemälde sind gemeinfrei

Themen:

Allgemein, Autoren-Kaffeekränzchen

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