Verlieren für Anfänger- Das Gefecht bei Lüneburg

Okay, der Titel dieses Beitrags für „Kakao, Kuchen und Musketen“ ist gemein. Aber während ich vor etwa anderthalb Jahren an der Recherche meines Romans „Wie der Sturm der Ewigkeit“ saß, hatte ich das Gefühl, dass bei diesem kleinen Gefecht um die Stadt Lüneburg im Frühjahr 1813 so einiges aus französischer Sicht schiefgegangen ist. Aber beginnen wir von vorne…

Die Welt ging unter. Monoton hallte das Läuten der Sturmglocke der Nicolaikirche durch die Stadt und fand ihr Echo in den Rufen ihrer Kameraden auf Sankt Johannis und der Sankt Michaelis, bis das dumpfe Summen von allen Hauswänden und Dächern der Stadt zu vibrieren schien. Bald darauf setzte das erste Artilleriefeuer ein und ließ die Wände unseres Hauses nahe dem Platze „Am Sande“ erzittern.

Jocelyn Garber: „Wie der Sturm der Ewigkeit“ (2022)

Eines vorweg…

Hier auf meinem Blog behandle ich Themen rund um meine historischen Romane, die zwischen 1794 und 1815 spielen. Dabei ist es mir wichtig, etwas sperrige und daher auch wenig bekannte Sachverhalte und Ereignisse verständlich, humorvoll und erinnerbar aufzubereiten. Wer einen vollständigen und bis ins kleinste Detail akurate Aufarbeitung des Gefechtsgeschehens sucht, findet HIER einen genialen Artikel, den ich euch nicht vorenthalten möchte.

Ausgangslage

Also: Wir befinden uns im Frühjahr 1813 in Lüneburg. Für Leute, die nicht Fan der Serie „Rote Rosen“ oder passionierte Wanderer sind: Das liegt im Nordosten Niedersachsns ca. 50 Kilometer von Hamburg entfernt am Ufer eines Flüsschens namens Ilmenau. Zu Reichtum ist die Stadt vor allen Dingen wegen ihrer Rolle in der Salzgewinnung gelangt.

Lüneburg um 1682

Am 9. Juni 1803 besetzten die Franzosen das Städtchen erstmals, 1810 erfolgte die vollständige Annektierung. Stellt euch Lüneburg dabei als hübsches, noch mittelalterlich geprägtes Städtchen vor mit einer schützenden Mauer umgeben, die von sieben Stadttoren unterbrochen wurde. Teilweise gab es im Süden und Osten noch einen Wassergraben und im Norden und Westen einen Trockengraben. Eigentlich ein ziemlich beeindruckendes Bollwerk. Das Problem aber war, dass die Gegner der Franzosen nicht mehr mit Pfeil, Rittern, Helebarden und Bogen und Rammbock um die Ecke kamen. Man hätte die Befestigung also modernisieren und ausbauen müssen. Dazu fehlte den Franzosen jedoch das Geld.

Die Franzosen müssen weg!

Wie es meistens ist, wenn sich ein Land ein anderes gegen dessen Willen einverleibt: Es geht nicht lange gut. So auch in Norddeutschland. Die Einwohner litten massiv unter den Verheerungen durch die immer wieder durchziehenden Truppen sowie die Konskriptionen und Abgaben. Die Menschen verarmten, die Gegend verelendete.

Wilhelm von Dörnberg, Radierung von Ludwig Emil Grimm (1790–1863)

Als die Franzosen 1812 auf ihrem Russland-Feldzug also einen Tritt in den Allerwertesten erhielten, schnupperten die Menschen in den besetzten Gebieten Morgenluft und auch Napoleons Gegner witterten ihre Chance, dem störenden Franzosenkaiser die Hölle heiß zu machen (das waren jetzt drei Phrasen in einem Satz 😆). Während sich die Franzosen also nach Westen zurückzogen und die Preußen und Russen vormarschierten, plante man, einen Volksaufstand gegen die Franzosen auszulösen. Mit dem einfachen Ziel, die französischen Truppen ordentlich zu beschäftigen und dadurch Zeit für einen gemeinsamen Vorstoß zu finden.

Tatsächlich kam es am 24. Februar 1813 zu einem Aufstand in Hamburg. Doch obwohl die Franzosen sofort hart durchgriffen und aufgegriffene Aufständische hinrichten ließen, weiteten sich die Tumulte auch auf die Region um die Stadt aus. Schließlich schwappte das Ganze Mitte März 1813 nach Lüneburg.

Sicherung der Stadt durch die Franzosen

Die Stimmung muss zu diesem Zeitpunkt ordentlich aufgeheizt gewesen sein, denn am 18. März verließen die französischen Beamten fluchtartig die Stadt. Drei Tage später am 21. März trafen zur Unterstützung der einheimischen Bevölkerung 50 Kosaken ein, die von den Russen geschickt wurden. Am 26. März erreichen weitere 100 Kosaken die Stadt. Die Lüneburger begannen nun mit der Aufstellung von Freiwilligentruppen.

Detail einer Hausfassade in Lüneburg, Quelle: A. Fischer

Diesen Zustand wollten sich die Franzosen aber nicht gefallen lassen. Sie wollten Lüneburg für sich sichern und schickten am 28. März von Uelzen her kommend 180 Mann Kavallerie. Allerdings gelingt es den Lüneburgern zuerst ihre Stadt zu halten und den Feind zurückzuschlagen.

Wie ein schlechter Aprilscherz muss es den Einwohnern von Lüneburg jedoch nur wenige Tage später erschienen sein, als am 1. April erneut die Sturmglocken der Stadt geläutet wurden und man feststellen musste, das der französische Divisonsgeneral Morand mit 2500 Mann und 10 Kanonen vor der Tür stand. Und die stellten sich gar nicht mal so dumm an. Trotz permanentem Kanonenfeuer drangen sie in die Stadt ein, bildeten auf dem Marktplatz ein Verteidigungskarree und übernahmen wieder die Kontrolle.

Bei diesem ersten Gefecht wurden zwanzig Bürger der Stadt getötet, einige weitere (die Anzahl variiert je nach Quelle) Bürger, die mit Waffen angetroffen wurden, wurden am Altenbrücker Tor standrechtlich erschossen, führende Bürger der Stadt setzte man gefangen. Und um das Ganze abzuschließen, ließ Morand alle Tore (bis auf eins) mit einem Geschütz, einem Offizier und fünfzig Soldaten besetzen.

Die Division Morand

Porträt-Miniatur des Divisionsgenerals Joseph Morand (1757-1813)

Wichtig ist dabei zu wissen, dass die Divison von Morand aus sächsischen und französischen Truppen, darunter 1 Bataillon der 54. Kohorte der Nationalgarde von ca. 450 Mann (anderen Quellen zufolge war es das 132. Linienregiment) bestand. Allerdings hatte er nur einen verschwindend kleinen Anteil Kavallerie bei sich. So wird beispielsweise von nur 30 Dragonern und Chasseurs des 20. und 23. Regiments ausgegangen. Aber gerade die Kavallerie ist es wichtig für einen Kommandanten, in einer solchen Situation genügend Aufklärung zu betreiben, um die unübersichtliche Situation richtig einschätzen zu können. Und die Sachsen waren (wahrscheinlich mache ich mir jetzt unter diesem Völkchen durch Gottes Gnaden Todfeinde, aber was soll’s 🙃) zu diesem Zeitpunkt nicht mehr engagiertesten Arbeitnehmer Napoleons, sondern schon reichlich bedient, wie mit ihnen umgegangen wurde.

Plot-Twist

In einem Roman oder einem Film käme jetzt die dramatische Wendung. Die Franzosen sahen sich als sichere Gewinner und Bezwinger der Situation, doch im Südosten rotteten sich bereits zwei russische Streifkorps zusammen. Dramatische Musik. Schwarzer Bildschirm.

Tatsächlich standen dort unter General-Major Tschernischeff und General-Major Dörnberg satte 1800 Mann Kavallerie, 740 Mann Infanterie und 8 Geschütze. Und gewitzt waren die auch noch. So schickten sie zwei Kosakenregimenter über die Ilmenau und täuschten von Süden her kommend einen Scheinangriff vor. Ziel war es, den Vormarsch der Infanterie von Osten her zu verschleiern.

Der denkwürdige 2. April 1813

Um 9:00 Uhr am Morgen begann der Angriff. Und schon hier verschätzten sich die Franzosen ordentlich, denn selbst die zwei Kosakenregimenter hielten sie nur für ein paar vereinzelte Plänkler und schickten dementsprechend auch nicht viele Leute vor die Tür, um sich zu verteidigen. Die Franzosen wurden- wie sollte es anders sein- zurückgeworfen.

F. A. Frenzel: Truppen vor Lüneburg am 2. April 1813

Inzwischen hatten die Alliierten sich zum Hauptangriff gesammelt, der um 12:00 Uhr mittags begann. Auch hier zeigte sich rasch, wie schlecht General Morand oftmals informiert war und wie langsam er auf die Angriffe seiner Gegner reagierte. So schickte er zwei Kompanien des 2. sächsischen Bataillons zum Lüner Tor, um dieses zu verstärken, doch dieses war innerhalb von dreißig Minuten bereits gefallen.

Relativ schnell drangen die Preußen in die Stadt ein, die Franzosen und Sachsen wurden bis zum Marktplatz zurückgedrängt. Hier ließ General Morand rasch zwei Haubitzen in Stellung bringen, wobei er verwundet und das Pferd unter ihm erschossen wurde. Relativ rasch eroberten die Russen die erste dieser beiden Haubitzen und den Franzosen blieb nur noch die Flucht durch die Hintertür mit ihrer letzten Haubitze im Gepäck.

Aufklärung ist alles

Doch damit will General Morand sich nicht geschlagen geben (wahrscheinlich ahnte er bereits den kaiserlichen Wutausbruch voraus) und so sammelte er seine verbliebenen Leute hinter einer Anhöhe. Aufgrund der absolut miserablen Aufklärung ging der arme Kerl davon aus, dass die angreifende Infanterie kaum stärker sein müsse, als seine eigene. Und so machte er kehrt und ließ seine Leute in doppelter Angriffskolonne zur Stadt zurückkehren. Dabei knallte es dann so richtig.

Richard Knötel: Johanna Stegen im Gefecht bei Lüneburg, Ansichtskarte: privat

Währenddessen jedoch umgingen die Kosaken die Stadt und attackierten die französischen und sächsischen Flanken. Vier weitere russische Geschütze wurden im Rücken der Franzosen positioniert und General Morand musste feststellen, dass er vollständig umzingelt war. Zu diesem Zeitpunkt machte eine junge Frau namens Johanna Stegen von sich Reden, doch davon berichte ich ein anderes Mal.

Die Franzosen fielen zurück, die Sachsen hielten noch etwas stand, wurden aber reichlich gefangen genommen. General Morand und sein Adjutant wurden dabei schwer verletzt.

Das hätte die Stunde von Oberst von Ehrenstein sein können, dem nun das Los zufiel, das Kommando übernehmen zu müssen. Ihm aber blieb nichts mehr anderes übrig, als einen Unterhändler zu General-Major Dörnberg zu schicken, in der Hoffnung noch etwas rauszureißen. Doch vorher kapitulierten die Franzosen und Sachsen.

Und die Moral von der Geschicht?

Als um 17:00 Uhr das Gefecht endete, waren 2300 Sachsen und Franzosen in Gefangenschaft geraten, man hatte 8 Kanonen mit 30 Fass Pulver und 3 Fahnen erbeutet. Während die Preußen und Russen „nur“ knapp 300 Mann verloren (Tote und Verwundete), belief sich der Verlust Frankreichs auf 500 Tote und Verwundete sowie die oben genannte Anzahl von Gefangenen. Und zu allem Überfluss starb General Morand drei Tage später am 5. April in Boizenburg an seinen erlittenen Verwundungen.

Johanna Stegen-Denkmal in Lüneburg, Quelle: A. Fischer

Viele der in Kriegsgefangenschaft geratenen Sachsen machten übrigens das Beste aus der ganzen Sache. Sie kämpften fortan für die Alliierten (an dieser Stelle verkneife ich mir den nächsten Spruch über dieses sehr praktisch veranlagte Völkchen 😉).

Und das hübsche Lüneburg? Das hatte ausgesprochenes Pech, denn obwohl man die Franzosen freundlichst zur Tür gebeten hatte, kehrte keine Ruhe ein. Schon einen Tag später mussten sich die Russen und Preußen wieder über die Elbe zurückziehen. Am 11. April war die Stadt wieder in preußischer Hand, ab Mai dann wieder unter den Franzosen.

Welche Rolle spielt dieses Gefecht in meinem Roman?

Meine Protagonistin Theresia erlebt das Gefecht zu Beginn des Romans mit. Zusammen mit ihrem Vetter beteiligt sie sich an dem Aufstand gegen die Franzosen im März 1813, wird während der Unruhen jedoch verhaftet und soll hingerichtet werden, da sie eine Waffe und antifranzösische Flugblätter bei sich trägt, hingerichtet werden. Nicholas de Lohnois, der als Dragoner unter General Morand dient, soll die Erschießung kurz vor der Flucht durchführen. Als er Theresia jedoch sieht, verliebt er sich auf den ersten Blick in sie und verhilft ihr zur Flucht.

Noch niemals zuvor hatte ich einen der französischen Dragoner aus der Nähe gesehen. Ihre dunkelgrüne Uniform mit den jonquillengelben Rabatten, Manschetten und Rockschößen ließ ihn riesig wirken. Im blank polierten Messing seines Helms spiegelte sich der wolkige Himmel. Die scharfe Brise, die vom Fluss heraufzog, zerrte an dem schwarzen Rosshaarschweif. Darunter verbarg sich ein noch recht junger Offizier mit dunkelbraunem Haar und braunen Augen, die mich ebenso intensiv musterten wie ich ihn […]

Jocelyn Garber: Wie der Sturm der Ewigkeit (2022)

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Liebe Grüße

Musketen

Quellen:

Bei meiner Recherche habe ich mich vor allen Dingen die Ausarbeitungen von Frank Bauer und Günter Franke gestützt. Mein großer Dank gehört dabei auch Frank H. für die Erläuterungen des Gefechts und A. Fischer für die Zuverfügungstellung der Fotos unseres Ausflugs nach Lüneburg aus dem Jahr 2022 (ich war ja mit Kinderwagenschieben beschäftigt 😅).

Alle Fotos, Radierungen und anderen Abbildungen sind, wenn nicht anders angegeben gemeinfrei.

Frank Bauer: Lüneburg 2. April 1813. Der Befreiungskampf beginnt (Kleine Reihe Geschichte der Befreiungskriege 1813–1815, H. 21), Potsdam 2008.

Themen:

Kakao Kuchen und Musketen, Kakao, Kuchen & Musketen

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