Die Schlacht an der Göhrde
„Die französische Kavallerie ist quasi nicht existent, gnädige Frau”, erklärte der Bursche mir mit sichtlichen Unbehagen. “Es ist nur die fünfte Eskadron des 28. Regimentes vor Ort. Kommandiert von Capitaine de Lohnois und seinem Stellvertreter Premier-Lieutenant Amadaray. Sie haben nur zweiundsiebzig Mann unter Pferden und wurden zur Aufklärung zwischen der Hauptabteilung von General Pérceux und den beiden Grenadierkompanien der 3. Linie abkommendiert.“
Mit diesem Zitat beginnt in meinem Roman „Wie der Sturm der Ewigkeit“ die Schlacht an der Göhrde. An der Göhrde? Also, bevor ich mich näher mit der Epoche der Napoleonischen Kriege befasst habe, hatte ich von dieser Schlacht noch nie gehört. Und auch im Schulunterricht ist die kleine Schlacht im heutigen Niedersachsen, die eher ein Gefecht war und von Zeitzeugen sogar lediglich ein „Treffen“ oder „Aufeinandertreffen“ genannt wurde, eher unerwähnt geblieben.
Wenn man dann aber von der Schlacht liest, ist das Erste, was sich einem aufdrängt, die Geschichte von Eleonore Prochaska, die sich als Soldat August Renz unter die Lützowschen Jäger gemischt hatte und an der Göhrde gefallen ist. In vielen Quellen dominiert diese Geschichte das eigentliche Geschehen, die Geschichte der Dame wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten ordentlich propagandistisch ausgeschlachtet und der eigentliche Schlachtverlauf wird nur noch sehr knapp geschildert. Doch was genau ist bei der Schlacht passiert? Mit dieser Schlacht möchte ich mich dieses Mal bei „Kakao, Kuchen und Musketen“ befassen.
Die Recherche
Die Recherche zur Schlacht war bislang meine aufwändigste. Neben einem Besuch des Göhrdeschlosses, in dem nach der Schlacht ein Lazarett untergebracht war, der Steinker Höhen, auf denen der Schwerpunkt der Kämpfte tobte, und der Gefechtsnachstellung habe ich mithilfe meiner Experten die detaillierte Aufstellung der beteiligten Einheiten sowie den Ablauf aufarbeiten können.
Ausgangspunkt der Recherche war dabei, erst einmal herauszufinden, welche Einheiten überhaupt vor Ort gekämpft haben. Dazu habe ich auf die Ordre de Bataille von Herrn Franke erhalten und mit meinen Karten zum Schlachtfeld abgeglichen, um überhaupt einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, wer wo mit wie viel Mann stand. Dann wurden die Verlustlisten der Offiziere herangezogen und geschaut, ob es zu diesen Menschen irgendwo bereits Eintragungen gab. Familienstand, besondere Auszeichnungen, Herkunft… Mithilfe dieser kann man wiederum ungefähr die Verluste bei den einfachen Soldaten errechnen. Ihr merkt, es war ein ziemliches Puzzle-Spiel.
Dann ging es darum, dass ich mir die teilnehmenden Einheiten und ihre Bewaffnung einmal genauer angesehen habe. Besonders bei den Truppen der Verbündeten verliere ich immer noch allzu rasch den Überblick, weil die Uniformen oft sehr uneinheitlich sind. Aber auch bei den französischen Truppen gab es plötzlich eine Gattung der Kavallerie, die ich bislang noch nicht kannte und in die ich mich hineinfuchsen musste, weil mein Protagonist nur in dieser Einheit gedient haben konnte- den Chasseurs à Cheval, den Jägern zu Pferde.
Kurzinfos zur Schlacht
Bei der Schlacht an der Göhrde kämpften am 16. September 1813 die Franzosen unter General Marc Pécheux mit ca. 4200 Mann gegen die Koalition aus Preußen, Russland und Kurhannover unter Graf Wallmoden mit ca. 12.300 Mann (okay, die Nummer war ein bisschen unfair). Es war dann ja auch ziemlich klar, dass die Franzosen das Ding nicht gewonnen haben.
Die Verluste, also die Anzahl sowohl der Verwundeten als auch der Gefallenen, lag bei den Franzosen bei etwa 1000 Mann, die Verlustzahlen der Alliierten sind nicht bekannt.
Vorgeschichte
Das Schlachtfeld an der Göhrde und die umliegenden Dörfer gehörten bis 1803 zum Kurfürstentum Hannover, wurden dann jedoch von den Franzosen besetzt. 1813 schlossen sich Preußen und Russland schließlich zu einem Bündnis gegen ihren französischen Erzfeind zusammen. Dies löste eine regelrechte Welle aus und es kam zu Erhebungen der Bevölkerung gegen die französische Herrschaft und allem, was damit einherging.
Nach ersten militärischen Erfolgen, beispielsweise bei der Eroberung von Lüneburg oder Hamburg, mussten sich die Koalitionstruppen mit dem Vorrücken des Korps Davout jedoch schließlcih jenseits der Elbe und auch wieder aus Hamburg zurückziehen. Den Sommer 1813 über herrschte dann erst einmal Ruhe, man belauerte sich ein bisschen, aber kaum war der Waffenstillstand vorüber, überfielen Freikorps, wie beispielsweise die Lützower französische Stützpunkte, Versorgungszüge und Kuriere und gingen den Franzosen damit gepflegt auf die Nerven.
Um das Ganze zu unterbinden, schickte General Davout die 12. Division unter General Pécheux im September 1813 an das westliche Elbufer. Ihr Ziel war es, das linke Elbufer von den Truppen der Verbündeten zu befreien und die direkte Verbindung zwischen Hamburg und Magdeburg wiederherzustellen.
Die Truppen der Koalition unter Wallmoden rückten am 15. September nach Dömitz, überquerten die Elbe und marschierten den Franzosen geradewegs entgegen. Problematisch war jedoch die mangelhafte Aufklärung auf beiden Seiten, auf französischer Seite wurde dies noch dadurch verschlimmert, dass franzosenfeindlich gesonnene Ortsansässige Pécheux falsche Auskünfte erteilten. Trotzdem setzte er den Marsch von Dahlenburg nach Oldendorf weiter fort. Erst als er auf einen Trupp Kosaken traf, brach er den Marsch augenblicklich ab und besetzte die Steinker Hügel. Diese besaßen zudem den Vorteil, dass sie bereits von Laufgräben und Verschanzzungen ausgebaut waren, da es dort im Mai desselben Jahres bereits ein kleineres Gefecht gegeben hatte.
Rekonstruktion einer Ordre de Bataille
Im Folgenden zeige ich euch einmal meine Truppenaufstellungen, die ich mir mithilfe der rekonstruierten Gefechtsaufstellungen zusammengesammelt habe. Ein großer Dank geht dabei an dieser Stelle bereits an Herrn F. für die Bereitstellung seiner Daten zur Grande Armée, sowie an der Herrn T.M. vom Napoleonik e.V., der mir die Quelle zur Gefechtsaufstellung der Nordarmee organisiert hat.
Wenn man sich die Zahlen anschaut, stellt man schon hier fest: die Franzosen hatten nicht wirklich eine Chance. Ohne Kavallerie hatten sie kaum Möglichkeiten zur Aufklärung, Geschütze hatten sie kaum bei sich und natürlich waren sie hauptsächlich zahlenmäßig massiv unterlegen.
Grande Armée
Befehlshaber: Marc Nicolas Louis Pécheux
Gesamtstärke der französischen Truppen:
Stab | 10 Offiziere |
Infanterie und Doauniers | 46 Offiziere und 3901 Mann mit 2 Kanonen |
Artillerie und Train | 4 Offiziere und 130 Mann mit 4 Kanonen |
Kavallerie | 7 Offiziere mit 65 Mann |
TOTAL | 67 Offiziere mit 4096 Mann und 6 Kanonen |
Beteiligte Einheiten der Grande Armée im Detail
1.Brigade unter General de Brigade Mielzinski
Einheit/ Kommandant | Stärke | |
3eme Ligne/ Colonel Ducouret | 2. Bataillon | 8 Offiziere 639 Mann |
3. Bataillon | 8 Offiziere 669 Mann | |
4. Bataillon | 7 Offiziere 717Mann | |
6. Bataillon | 8 Offiziere 771 Mann | |
2 Bataillonskanonen (Sechspfünder) | 2 Offiziere 80 Mann | |
105eme Ligne/ Major Ville | 3. Bataillon | 11 Offiziere 925 Mann |
Doauniers | ca. 2 Offiziere 100 Mann | |
1. Artillerie á Cheval | 4. Kompanie | 2 Offizieren und 80 Mann, mit 3 Sechspfünder-Kanonen und einer 5,5 Zoll Haubitze |
5. Trainbataillon | 4. Kompanie | 2 Offiziere und 50 Mann |
28eme Chasseurs a Cheval | 5. Eskadron | 7 Offiziere und 65 Mann |
Nordarmee
Befehlshaber: Ludwig von Wallmoden-Gimborn
Beteiligte Einheiten der Nordarmee im Detail
Einheit/Kommandant | Kommandant | Stärke |
Avantgarde (darunter auch das Lützowsche Freikorps) | Generalmajor von Tettenborn | 3280 Infanterie 1918 Kavallerie 118 Artillerie mit 8 Geschützen |
Russisch-deutsche Division | Generalmajor von Arentsschildt | 4475 Infanterie |
Britisch-Deutsche Division | Generalmajor Lyon | 4303 Infanterie 203 Artillerie mit 6 Geschützen |
Kavallerie- Division | Generalmajor von Dörnberg | 2514 Kavallerie |
Reserve- Artillerie | Oberleutnant Monhaupt (Russisch-Deutsche Artillerie- Brigade) Major Brückmann (Britisch-Deutsche Artillerie- Brigade) | 775 Artillerie mit 28 Geschützen und 32 Raketengestelle |
Verlauf
Generalleutnant von Wallmoden versuchte, als er erkannt hatte, dass die Franzosen diese strategisch wichtige Stellung besetzt hatten, den Feind durch kleine Nadelstiche seiner Kosaken herauszufordern, was jedoch misslang. Wallmoden musste nun selbst angreifen und setzte seine Truppen daher um 12:00 Uhr Mittags am 16. September 1813 in Marsch. Um 13:00 Uhr trafen seine Leute am Rand der Göhrde auf das französische Vorpostenbataillon, während die Britisch-Deutsche Legion unter Generalmajor Lyon südöstlich Stellung bezog und Generalmajor von Arendtsschild um über Oldendorf und Eichendorf den Ring von Südwesten zu besetzen. Der Zeitplan war derartig knapp besetzt, dass die Truppen die Strecke teilweise im Laufschritt zurücklegen mussten, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Um 16:00 Uhr waren die Ausgangsstellungen erreicht, jedoch hatten die Reicheschen und Lützowschen Jäger entgegen der ursprünglichen Absprache bereits einen Angriff begonnen.
Das französische Vorpostenbataillon musste sich weiter zurückziehen, Pécheux befahl seinen Chasseurs à cheval die Kosaken zu attackieren. Dieser Angriff gestaltete sich problematisch und musste rasch abgebrochen werden, da die französische Kavallerie ihrerseits von den Reitern und den Jägern des Lützowschen Freikorps angegriffen wurde.
Langsam dämmerte es Pécheux, dass er von Westen, Süden und Osten eingeschlossen war und ihm nur noch der Rückzug nach Norden offenstand. Während er mehrere Angriffswellen erfolgreich abwehrte, ließ er den Rückzug über Eichdorf und Breese vorbereiten. Bei einem dieser Angriffe kam es dazu, dass das 3. Hannoversche Husaren-Regiment durch Eigenbeschuss der Division Arentsschild starke Verluste erlitt.
Gegen 17:30 Uhr griffen die Divisionen von Lyon und von Arentsschild erneut an und dieses Mal waren sie erfolgreich. Nach dreißig Minuten musste Pércheux endgültig den Rückzug befehlen. Um 19:00 Uhr ließ Generalleutnant von Wallmoden die Verfolgung der Franzosen einstellen.
Eine ausführlichere Darstellung der Kampfhandlungen findet ihr unter www.goehrdeschlacht.de oder www.8eme.de.
Folgen
Die Nacht brach herein und mit ihr setzte leichter, aber eiskalter Regen ein, was die Bergung der Toten und Verwundeten vom Schlachtfeld erschwerte.
Im Göhrdeschloss und seinen zahlreichen Nebengebäuden wurde ein Feldlazarett eingerichtet, welches bei Weitem nicht ausreichte. Zahlreiche Verletzte und Gefangene wurden nach Dannenberg gebracht und in Bürgerhäusern, der Schule und im Amtshaus untergebracht. Allein in der Kirche pferchte man 150 französische Soldaten zusammen, von denen viele in den Tagen darauf verstarben.
Um den zahlreichen Toten Herr zu werden, hob man nahe des Schlachtfeldes drei Massengräber aus. Ein Denkmal erinnert heute an die Schlacht und ihre Opfer.
Alle zwei Jahre findet am Ort der Schlacht eine Gefechtsnachstellung statt.
Trivia
Eleonore Prochaska
Marie Christiane Eleonore Prochaska (* 11. März 1785 in Potsdam, † 5. Oktober 1813 in Dannenberg) war die Tochter eines preußischen Unteroffiziers, die sich 1813 im Jägerdetachement des 1. Bataillons des Lützowschen Freikorps unter dem Namen August Renz eintrug. Während des Angriffs wurde sie durch eine Katätsche verwundet, je nach Quellenlage bei dem Versuch einen verletzten Kameraden aus der Schusslinie zu ziehen oder bei dem Versuch eine Trommel zu bergen. Von einem Vorgesetzten, der ihr zur Hilfe eilte, wurde sie als Frau enttarnt und daraufhin zur Versorgung ihrer Wunden in ein Bürgerhaus nach Dannenberg gebracht. Dort verstarb sie im Oktober 1813.
Congrevsche Raketen
Während der Schlacht an der Göhrde wurden zum ersten Mal auf europäischem Boden Congrevsche Raketen eingesetzt, die von dem britischen Artillerieoffizier Sir William Congreve entwickelt worden war. Der Vorteil dieses neuartigen Geschosses war ihre große Reichweite, die Möglichkeit viele Schuss pro Minute abzugeben sowie ihr geringes Gewicht und die damit verbundene Mobilität.
Die Raketen konnten eine Kartätsche, aber auch einen Spreng-, Brand- oder Leuchtsatz enthalten und sorgten unter den gegnerischen Soldaten für Angst und Schrecken.
Kritik, Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge?
Im Augenblick arbeite ich mich selbst in das Thema ein. Natürlich können Fehler bei den Fakten vorkommen. Auch gibt es immer wieder neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die ich gerne in meine Arbeit einfließen lasse. Über konstruktive Kritik und neue, interessante Fakten freue ich mich daher immer. Schreib mir einfach!
Liebe Grüße
Quellen
Bastet, Marc: Die Schlacht an der Göhrde-1813. Gifkendorf 2007.
Frank Bauer: Göhrde 16. September 1813 (Kleine Reihe Geschichte der Befreiungskriege 1813–1815), Heft 23, Potsdam 2008.
Franke, Günter: Rekonstruktion einer Ordre de Bataille. Heide 2016.
Franke, Günter: Namen von französischen Offizieren die an der Göhrde gefallen oder verwundet worden sind 16.09.1813. Heide 2016.
Quistorf, Berthold: Die Geschichte der Nordarmee im Jahre 1813. Bd. 3 „Beilagen, Skizzen und Pläne“. Berlin 1894.
Weblinks
Das Reenactment- Die Schlacht an der Göhrde: www.goehrdeschlacht.de
8e Régiment d´Infanterie de Ligne: www.8eme.de
Kings German Legion 2nd Light Battalion: https://kgl.li/
Abbildungsverzeichnis/Quellen
Abb. 1: Richard Knötel
Abb. 5,7,9: www.andreasspringer.de
Abb. 2,4, 6,8: Abbildungen historischer Ansichtskarten aus einer Privatsammlung, teilweise beschriftet